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von Günther Sawatzki
Das Begräbnis Edwin Scharffs ist vorüber. Schüler trugen seinen Sarg
dem langen Zug voran durch die Waldalleen und Wiesenblicke des Ohlsdorfer
Friedhofs — ein Trost für die Augen, denen immer noch das Antlitz
des Toten vorschwebte, stolz und fromm.
Edwin Scharff war ein Schwabe, auch ihm waren die spaßhaft verschmitzten
Züge eingemischt, und er genoß sie. Er befand sich aber und blieb
ganz im Bereich des gebildet Urtümlichen, will sagen: was er tat und
sprach, war immer am ursprünglichen Anfang der Kultur, an jener heiligen
Schwelle, wo das Tier noch paradiesisch nah ist — nicht jedes
Tier freilich, aber das edle, dem Menschen zugetane Tier, das sich
im Dienst an ihm erhöht.
Es war immer Schöpferlust in ihm - und dabei niemals Hochmut. Freilich
wußte er, wie eine Figur stehen mußte, gehen und aufrecht sich halten;
er haßte das Falsche, und im Mittelmaß hatte er viele Feinde. Das
gehört zur Bestimmung der Größe. Aber er ließ weit und breit das Gute
gelten, das durchgeformt Sonderliche, Eigenartige —: hätte er
sonst der beste Porträtist unter den Bildhauern sein können?
Wölfflin, so kühn und streng, Nolde, so querköpfig genial, Corinth,
ein aufgerissenes Antlitz, aufgerissen fürs Schauen, Carl Petersen,
mit der die Welt durchplanenden Umsicht, Helene Ritscher, seine Frau,
nach Wahrheit witternd, Max Brauer, mit der vom Spiel der Fältchen
belebten, unbefangenen Massigkeit, der Energie des Ensembles von Nase,
Augen und Kinn, Max Liebermann, mit jener schwingenden Schärfe der
Grate an Brauen und Schläfen, die jeden Einzelzug eines Gesichts endgültig
ins Ganze birgt, und den Kampftrotz und die wachsam spähende Sicherheit
Kardinal Graf Galens —: so einmalig ist ein jeder, daß man sich
schon der Galerie, der Aufzählung schämt.
Aber nun wir zu den Statuen übergehen, denen Scharff so oft zu vollkommenen
Leibern knospenhaft unentfaltete Köpfe gab — vielen ein Ärgernis
und ein Hindernis, aufs Wesentliche zu schauen —, nun erhebt
sich die Frage, wie sich denn das in ihm zu einer solchen bruchlosen
Einigkeit fand: entfliehendes Leben und bleibende Gestalt? Er hat
ja doch nie an der Vergänglichkeit des Schönen gezweifelt. Woher also
diese Kraft, das in diesem Augenblick Vollkommene in seiner Vollkommenheit
festzuhalten?
Schaut man seine Figuren an, entdeckt man allmählich, daß diese Gestalten
schon aus der Erde auferstanden sind, wenngleich abermals sterblich.
So sah ich die Köre von 1926: also das Mädchen, Name der Griechen
für Persephone, die aus der Unterwelt wieder Heraufsteigende, die
Augen noch nachtblind, erloschen, aber still wie im Traum schreitend
zur sicheren Heimkehr ins Licht. Das ist eine Terrakotta: wo also
die Konturen noch das Unbeholfene des Irdischen haben, dies Hökkerige,
aus Erde Gemachte, das den Blick erschauern läßt. Immer hat Scharff
dunkle Figuren geschaffen und ins Licht gehalten: dies Herauswachsen
der Anmut aus Erde; Stein und Erz bleibt bei ihm rätselhaft; das Rätsel
dieses Kommens aus der Dunkelheit zum Urlaub im Licht wird nie durch
Glätte verdeckt.
Auch in seinen großen Bronzen nicht, wo die Gestalt immer noch in
der Erde wurzelt, und das Licht hat sich nur ruhig darauf niedergelassen,
zart, nie zärtlich, nie mit einem Finger oder einem Strahl darüberhinstreichend,
immer mit der vollen, fühlenden Hand. Vielleicht ist die „Pandora"
von 1952 unter den vollendeten Werken dieser Art das deutlichstet
wie so viele Frauengestalten Scharffs, hat sie die Hände rücklings
verschränkt, so daß man ganz das Augenglück genießen kann, der sanft
gespannten Kontur von den Füßen über Schenkel, Hüften und Brüste aufwärts
zu folgen.
Manche meinen, Scharff habe, seit er begann, keine Entwicklung durchgemacht.
Nein, aber eine Entfaltung: wenn man mit dieser „Pandora" sein
erstes großes Werk, den „Jungen Athleten", vergleicht, sieht
man es: so meisterhaft das Stehen beherrscht ist, sind doch Brust
und Schultern des Mannes noch nicht frei; die Haltung „zeigt"
noch etwas, das in der Figur allein nicht absichtlos beschlossen liegt.
Diese Mühe des Aufzeigens ist später der Sicherheit des Ausstrahlens
gewichen.
Sollen wir Werknamen häufen? Der innigen Liebespaare wenigstens noch
gedenken, die in den Traum des Daseins versunken sind? Der vielen
Reiterfiguren, in denen sich die Einebnung des Absichtlichen Jahr
um Jahr schöner vollendet, bis Mann und Tier auf das Entschiedenste
und Selbstverständlichste eines sind, bis die Gegenwart des uralten
Lebens selber herrlich aufsteigt, von den Hufen und der Schweifspitze
über den gebogenen Nacken des Pferdes zu den geblähten Nüstern, und
der Mann, der Herr, um Grade kühler, aufatmend diesen Augenblick besonnener
Vollkommenheit genießt?
Größe heißt bei Edwin Scharff: den Gesetzen des Daseins entsprechen,
der Herkunft aus der Nacht und des Untergangs gewiß, aber gewiß auch
dieses Trostes der ewigen Anschauung, daß immer wieder einmal dies
Schöne, Feste, Blühende so Gestalt werden wird, wie es erschaffen
worden ist, als verheißende Wiederholung des ernsten ewigen Spiels
der Schöpfung.
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